Marian macht’s

Zum Inhalt scrollen
„Private Dinge müssen dann eben zurückstehen.“

Dem tristen Dezemberwetter zum Trotz, schmiegt sich Eberstedt idyllisch an die durch den Nordosten des Weimarer Landes mäandernde Ilm. Marian Eichler blickt vom Ufer am Dorfrand durch die nasskalte Nebelsuppe in Richtung Ortskern, zum Vereinshaus. Dort, wo das Dorf zusammenfindet, sorgt der 29-Jährige dafür, dass der Laden läuft. 

Dienstag Fußball, Mittwoch Kinderfußball, Donnerstag Dart oder Feuerwehr, Freitag Vereinshaus-Dienst, Samstag Liga-Dart, Sonntag Frühschoppen-Bewirtung und danach der Einsatz beim Liga-Fußball – so sieht Marians Ehrenamts-Woche aus. 52 mal im Jahr. Dazu diverse Sonderschichten vor, während und nach Eberstedts zahlreichen Feierlichkeiten. Dem Feuerwehrverein sitzt Marian seit 2007 vor, im gemeinsamen Fußballverein mit dem Nachbarort Niedertrebra ist er Kapitän, Trainer und Platzwart in Personalunion und beim Traditionsverein ist er der „Burschenkellner“. Er kümmert sich um das Vereinshaus, schenkt Getränke aus, putzt, hält alles auf Vordermann. Seinen Jahresurlaub investiert er, um die Feierscheune des Ortes, die sogenannte Loge, zur Kirmes mit riesigem Aufwand in einen Birkenwald zu verwandeln und die verschiedenen Veranstaltungen mit zu organisieren. Wenn andere feiern, behält Marian den Überblick. 

Ich hoffe, den Jugendlichen zeigen zu können, dass sie auch auf dem Dorf ein erfülltes Leben führen können.

Marian Eichler Vorsitzender Feuerwehrverein Eberstedt

Das sieht auch sein Schwiegervater in spe so: „Der Marian ist ein Eckpfeiler der Gemeinde. Auf den kannst Du Dich verlassen. Der redet nicht nur, der macht.“ Die lobenden Worte kommen von einem, der sehr genau weiß, wie wichtig engagierte Ehrenamtler für das Gedeihen eines 200-Seelen-Ortes wie Eberstedt sind: Bürgermeister Hans-Otto Sulze steht seiner kleinen Gemeinde nun schon 19 Jahre vor – ehrenamtlich, versteht sich.

„Wenn es unsere Vereine nicht gäbe“, ist Sulze überzeugt, „dann würde das dörfliche Leben jämmerlich kaputt gehen“. Doch noch gibt es sie. Und im Gegensatz zu vielen anderen Gemeinden in der Region, deren Vereine in den letzten Jahrzehnten einen Groß-teil ihrer Mitglieder verloren haben, befinden sich die Mitgliederzahlen in Eberstedt nicht im freien Fall, im Gegenteil: Ein Viertel des Dorfes ist im Feuerwehrverein, fast ein Fünftel im Traditionsverein.

Und dennoch: Die Probleme sind in Eberstedt die gleichen wie anderswo. Seit Jahren haben die Vereine Probleme mit dem Finanzamt, das angesichts der Eberstedter Feierlaune den Zweck mancher Veranstaltung in Frage stellt und den Status der Gemeinnützigkeit gleich mit. Marian schüttelt den Kopf: „Dabei sind es genau solche Veranstaltungen, die den Zusammenhalt und die Attraktivität des Vereins ausmachen und die Mitglieder motivieren, sich weiter im Brandschutz zu engagieren.“ Parallel dazu geraten Bürgermeister Sulze und sein Gemeinderat immer wieder ins Visier der Kommunalaufsicht – ihre Beschlüsse, die Vereine wo es nur geht zu unterstützen, kämpfen sie trotzdem durch.

Aber reicht das, um vor allem junge Familien im Ort zu halten und den Verlockungen der Stadt etwas entgegenzusetzen? „Was wir brauchen, ist bezahlbarer, moderner Wohnraum, der attraktiv ist für junge Leute“, weiß Sulze. Auf dem Land wohnt es sich nämlich günstiger als in der Stadt, wo eigener Wohnraum mittlerweile oft jenseits der finanziellen Möglichkeiten junger Familien liegt. Ein kleines Baugebiet war Mitte der 90er innerhalb von sechs Monaten bis auf den letzten Bauplatz vergeben. Wenn ein Mietshaus im Ort frei wird, gibt es innerhalb von kürzester Zeit etliche Anfragen. Dank seiner intakten Dorfgemeinschaft ist Eberstedt attraktiv, gerade auch für Rückkehrer. „Nach der Wende sind 20 bis 25 Leute nach Apolda gezogen – viele sind in den letzten Jahren zurückgekommen“, berichtet Sulze nicht ohne Stolz.

Dazu passt, dass die Bevölkerungsprognose bis zum Jahr 2035 für Eberstedt einen Zuwachs vorhersieht – fast ein Alleinstellungsmerkmal für die ganze Region. Was also macht Eberstedt besser als andere Orte? Ist alles dem Einsatz von ein paar engagierten Ehrenamtlern zu verdanken?Marian winkt ab. Bei allem Engagement: Alleine im Mittelpunkt zu stehen, ist ihm sichtlich unangenehm. Und doch will er den Jüngeren ein Vorbild sein. „Ich hoffe, den Jugendlichen zeigen zu können, dass sie auch auf dem Dorf ein erfülltes Leben führen können.“ Momentan geht sein Einsatz oft bis an die Schmerzgrenze, Selbstzweifel sind allgegenwärtig. Reicht das aus? Macht das alles noch Sinn? – Marian fragt sich das oft. Wenn sein Engagement dann sogar außerhalb seines Heimatortes gewürdigt wird, ist das auch für Marian eine Bestätigung, die ihm hilft, weiterzumachen. Ende November sollte er im Erfurter Kaisersaal für seinen außergewöhnlichen ehrenamtlichen Einsatz ausgezeichnet werden. Marian fühlte sich geschmeichelt – und dennoch sagte er ab. Eine Weiterbildung zum Sicherheitsbeauftragten seines Betriebs kam dazwischen. Für die Sicherheit seiner Kollegen da zu sein – das war ihm dann doch wichtiger, als selbst auf einer Bühne zu stehen.

Von Felix Voigt