Der Klavier-Doktor

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„Wir kommen wieder zu Wartezeiten wie in der DDR.”

Der Firmensitz wirkt, als sei er aus der Zeit gefallen. Der alte Backsteinbau atmet den Duft eines musikalischeren Jahrhunderts, die Werkstatt ist vollgestopft bis unters Dach: Mit alten Klaviaturen, ausgeweideten Gehäusen und mehr oder weniger vollständigen Mechaniken, deren Federn, Stößel, Zungen, Tasten, Dämpfer und Hämmer nur darauf zu warten scheinen, endlich wieder einen Ton entlockt zu bekommen.

Das ist das Reich von Thomas Hanf. Der Klavierbauer in dritter Generation führt das Eisenberger Pianohaus Hutzelmann seit 1988. Trotz der musealen Umgebung, in der der Handwerksmeister lebt und arbeitet, hat er gut zu tun – im Grunde zu gut. Mit seiner Profession mag der 58-jährige ein Exot sein, und doch sind seine Probleme exemplarisch für die gesamte Handwerkerzunft: Aufträge ohne Ende, aber kein Personal und vor allem keinen Nachwuchs.

In Hanfs Werkstatt arbeiten zwei Gesellen, dazu in den Ladengeschäften in Jena und Weimar jeweils eine Verkäuferin und gelegentlich ein paar Hilfskräfte. „Wir sind notorisch unterbesetzt. Aber woher die Leute nehmen, wenn nicht stehlen?“ Wer Hanf jetzt einen größeren Reparatur-Auftrag erteilt, braucht nicht vor Herbst damit rechnen, dass er oder seine Gesellen sich kümmern können. „Wir kommen wieder zu Wartezeiten wie in der DDR”, kommentiert der Klavierbaumeister die schwierige Personalsituation. Trotzdem sind die Dienste des Eisenbergers weiter schwer gefragt. „Die Leute akzeptieren das, denn sie wollen ihr Instrument vor Ort in guten Händen wissen, statt es auf die weite Reise zu den großen Reparatur-Unternehmen in Polen oder Tschechien zu schicken.“

Wir sind notorisch unterbesetzt. Aber woher die Leute nehmen, wenn nicht stehlen?

Thomas Hanf Klavierbauer

Neue Klaviere – vor der Wende waren es immerhin etwa vier pro Jahr – werden in Eisenberg dagegen schon lange nicht mehr produziert. Nach der Wiedervereinigung hatte Hanf noch größere Materialbestände aus DDR-Zeiten, die hat er noch viele Jahre verbaut. „Als die aufgebraucht waren, habe ich das mal durchkalkuliert und festgestellt: Einzelstücke, wie wir sie herstellen, rechnen sich einfach nicht mehr.”

Sein Blick wandert über die Wand mit historischen Firmenschildern, eine Art Friedhof der Klavierbaukunst, mit Marken, die es zum Teil schon etliche Jahrzehnte nicht mehr gibt. Sie stammen fast alle von ausgeweideten Klavieren, Kriegsschäden, die als Ersatzteillieferanten dienten und so in anderen Klavieren weiterlebten. Die ältesten sind aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, als dieses Handwerk in seiner Blüte stand. Noch zu Beginn der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts gab es allein in Eisenberg 26 Klavierbaufirmen, die später von Weltwirtschaftskrise und Inflation größtenteils dahingerafft wurden.

„Heute schaffe ich es nicht einmal mehr, jemanden zu finden, der diesen Beruf lernen will“, zeigt sich Hanf ernüchtert. Seit Mitte 2017 sucht er vergeblich, den letzten Azubi verlor er noch vor Abschluss der Lehrzeit: „Dem fiel irgendwann auf, dass Klaviere schleppen schwer ist. Dann hat er lieber auf Lehramt studiert.“ Ebenso ungelöst wie die Nachwuchsfrage ist Hanfs Problem, die Unternehmensnachfolge zu regeln. Eigentlich wollte er den Betrieb 2019, wenn er 60 und das Pianohaus 100 Jahre alt wird, übergeben. „Ich hatte mir eingebildet, dass ich rechtzeitig angefangen habe zu suchen. Aber das war wohl ein Trugschluss.“ Denn der Nachfolger sollte idealerweise ein paar Jahre „mitlaufen”, um Kunden und Abläufe kennenzulernen. Doch die Gesellen winken ab, scheuen Risiko und Verantwortung, die mit der Führung eines eigenen Betriebs einhergehen. Als Hanf 2016 im Fachblatt des Verbands inserierte, meldeten sich zwar zwei Interessenten. Doch Erkundigungen bei Kollegen brachten schnell Ernüchterung hinsichtlich der Seriosität der potenziellen Nachfolger. Ein weiterer wollte nur kaufen, um das Pianohaus zu schließen und Konkurrenz loszuwerden – für Hanf kommt das nicht in Frage.

Und auch die eigenen Sprösslinge wollen nicht: Hanfs Söhne, der eine studierter Chemiker und Physiker, der andere Informatiker, werden keine Klavierbauer mehr. Druck auf den Nachwuchs auszuüben, hält er nicht nur für zwecklos, sondern sogar für gefährlich. Oft genug hat er bei Kollegen erlebt, dass dort, wo die familiäre Nachfolge unter Zwang zustande kam, „die Jungen nur gewartet haben, bis der Alte tot umgefallen ist. Dann haben sie die Hütte verkauft.” Jenseits der Nachwuchs- und Nachfolgesorgen machen aber auch andere Dinge dem Klavierbaumeister das Leben schwer. Hohe bürokratische Hürden und viele Konkurrenten ohne Meisterbrief sorgen dafür, dass Ausschreibungen bei Hanf mittlerweile „ungesehen in den Papierkorb wandern“, wie er sagt. Service und Qualität blieben oft außen vor, weshalb sich Hanf, wie viele seiner Handwerkskollegen, zurücksehnt nach der Meisterpflicht. „Schröder, der Depp, hat sie abgeschafft. Heute kann jeder behaupten, er sei Klavierstimmer. Da ist es von den Auflagen her schwieriger, einen Imbissstand aufzumachen.”

Das bekommt auch die Thüringer Musikinstrumentenmacher-Innung zu spüren, die laut Hanf gerade mal noch eine Handvoll Mitglieder hat. „Das hat sich erledigt in den nächsten Jahren“, sagt er und setzt seinen Stimmhammer auf die Stimmkrücke eines kurz vor der Fertigstellung stehenden Flügels. „Wir sind biologisch abbaubar.”

Felix Voigt