Angelika Geilert, die Vorsitzende des Thüringer Landfrauenverbands e.V.

Frau Geilert, das große Thema des Thüringer Landfrauenverbands ist die Zukunft des ländlichen Raumes, also unserer Dörfer und kleinen Städte. Alle wollen ihn stärken, doch die Abwanderung ist nicht gestoppt. Was muss geschehen?

Geilert: Die meisten Menschen hängen an ihren Dörfern. Doch man muss dort auch leben können. Wir sehen mit Sorge, dass die Verödung vieler Orte anhält. Zunächst geht es schlicht um Arbeitsplätze, die nur durch leistungsfähige Unternehmen entstehen. Junge Familien brauchen Kitas und Schulen. Vor allem müssen die Vereine und das Ehrenamt unterstützt werden. Wenn kein Arzt und kein Laden in der Nähe sind, sucht auch mancher anderswo sein Glück. Um den Zusammenhalt kümmern sich die Bürger dann schon selbst, auch die Thüringer Landfrauen.

Mohring: Der ländliche Raum ist Heimat, Wirtschafts- und Naturraum, und so umfassend muss er auch betrachtet werden. Es gibt die wirtschaftliche Seite, genauso gibt aber die starke Heimatbindung einen besonderen Zusammenhalt. „Vor Ort zu Hause“, so heißt eine der Veranstaltungsreihen meiner Fraktion. Genau das ist es. Deshalb setzen wir uns auch dafür ein, dass lebendige örtliche Gemeinschaften erhalten bleiben können. Und deshalb bin ich auch so froh, dass es uns gelungen ist, die von der Ramelow-Regierung geplante Zwangsgebietsreform abzuwenden.

Schauen wir zunächst auf die wirtschaftliche Seite. Die Land- und Ernährungswirtschaft gehört zu den großen Branchen in Thüringen…

Geilert: Wir Landfrauen setzen uns wie der Bauernverband dafür ein, dass das auch so bleibt. Was die Europäische Kommission gerade für die zukünftige Agrarförderung plant, ist nicht gut für die Betriebe und übrigens auch nicht für die Dörfer. Denn natürlich engagieren sich die Agrarbetriebe für ihre Orte.

Wo liegt das Problem?

Mohring: In Ostdeutschland sind die Landwirtschaftsbetriebe nun einmal größer. Die historischen Gründe sind bekannt. Wir wehren uns, dass die Direktzahlungen der Europäischen Union (EU) pro Hektar mit zunehmender Größe sinken und ab einer bestimmten Größe ganz entfallen, also gekappt werden. Das lehnen wir strikt ab. Ich will den Blick aber auch noch auf ein anderes Thema lenken. Wirtschaft im ländlichen Raum ist nicht allein Landwirtschaft. Und ohne leistungsfähiges Internet geht nichts mehr. Rot-Rot-Grün hat beim Breitbandausbau Jahre verschenkt und Möglichkeiten nicht ausgeschöpft.

Geilert: Die Landwirtschaft braucht diese Verbindungen genauso. Das ist heute etwas ganz anderes als in der Zeit, als ich gelernt habe. Ein Trecker zum Beispiel ist heute ein High-TechGerät. Da geht nichts mehr ohne Navigation. Und man kann andere Beispiele nennen.

Trotzdem scheint es in den sogenannten grünen Berufen am Nachwuchs zu fehlen.

Geilert: Wo es eine Familientradition gibt, ist das nicht so ein großes Problem, sonst natürlich schon. Am Ende ist das auch eine Frage der Gehälter. Darauf haben wir Landfrau-en aber wenig Einfluss. Mehr schon darauf, Kinder für alles rund um die Landwirtschaft zu interessieren.  Dafür, wie Lebensmittel produziert werden, welchen Wert sie haben, wie sie verarbeitet werden. Es wurden Botschafterinnen für Agrarprodukte ausgebildet, wir haben ein Gartenkinder-Projekt für die Kitas. In den Schulen bieten Landfrauen Unterrichtseinheiten zur gesunden Ernährung an, über das Projekt aid-Ernährungsführerschein. Die Nachfrage dazu übersteigt die vorhandenen Mittel übrigens deutlich.

Mohring: Da müssen wir helfen. Eine gesunde und bewusste Ernährung trägt entscheidend dazu bei, mancher Zivilisationskrankheit vorzubeugen. Wir wollen die Dorfschulen im ländlichen Raum überhaupt erhalten. Das gilt übrigens auch für Berufsschulen. Wer für die Ausbildung von zu Hause weg muss, der ist dann häufig auch ganz weg.

Da hat die CDU-Fraktion ja jetzt Alarm geschlagen und wirft der Ramelow-Regierung vor, das große Schulsterben im ländlichen Raum einzuleiten.

Mohring: Mit dem neuen Schulgesetz sollen Größenvorgaben kommen, die den kleinen Schulen in Dörfern und kleineren Städten das Leben schwer machen und sie vielfach in ihrer Existenz gefährden werden. Die rot-rot-grüne Alternative lautet schlicht: kooperieren oder schließen. Lehrer sollen aber nicht zwischen Schulstandorten im Land herumfahren, sondern vor ihren Klassen stehen.

Geilert: Für die Landfrauen stehen ganz klar die Frauen und ihre Familien in den Dörfern im Mittelpunkt der Arbeit. Und da muss man keine Hellseherin sein: Sind keine Kitas und keine Schulen im Ort oder wenigstens in der Nähe, fördert das die Verödung der Dörfer. Ein alter Satz ist und bleibt richtig: Kurze Beine – kurze Wege. Noch ein Satz zur beruflichen Bildung. Für uns ist die Ausbildungsberatung in den Landwirtschaftsämtern sehr wichtig, um junge Leute für die Landwirtschaft zu gewinnen. Sie hat sich bewährt. Da sollten keine Veränderungen vorgenommen werden.

Jetzt ist schon zweimal das Wort „Verödung“ gefallen. Ist das nicht ein bisschen übertrieben? Man hat ja nicht das Gefühl, durch Geister-Dörfer zu kommen.

Geilert: Das ist sicherlich etwas überspitzt. Doch auch wenn wir noch nicht über neue Wüstungen reden, sind die Ortskerne, Leerstand und der Wertverfall von Immobilien durchaus ein Thema. Großzügige Neubaugebiete auf der sprichwörtlichen Grünen Wiese darf es nicht mehr geben, wenn in den alten Ortslagen und Ortskernen Häuser saniert oder Lücken bebaut werden können.

Mohring: Die Belebung der Ortskerne hat ganz klar Vorrang. Mit einer Ergänzung: auch in den Randlagen der Dörfer sollen Baulücken genutzt werden können. Für die Kenner des Planungsrechts: Da geht es um den sogenannten ortsnahen Außenbereich. Wenn dort schon etliche Häuser mit Bestandsschutz stehen, kann man auch die Lücken bebauen. Siedlungsgeschichte lässt sich nicht einfach zurückdrehen.

Damit all dies nicht Arbeit am schönen Schein bleibt und Menschen dort wirklich Heimat finden, kommt es am Ende dann doch auf das Leben in den Dörfern an.

Geilert: Da treffen Sie den entscheidenden Punkt. Heimat ist unsere Motivation, so verstehe ich die Arbeit der Landfrauen. Jeder liebt seine Heimat. Auf dem Dorf ist das aber noch einmal etwas Besonderes. Die meisten haben ein wenig Landbesitz und Häuser. Das kann man nicht einfach in den Rucksack packen und mitnehmen. Wenn man den Kirchturm wieder sieht, dann sieht man seine Heimat wieder. Lokales Brauchtum, Sprache, Speisen. Das gehört dazu.

Mit dem jährlichen Erntekronenwettbewerb gibt es für die Heimatpflege durch die Landfrauen ja auch ein wunderbares Symbol.

Geilert: Ein Symbol übrigens, das zeigt, wie ausdauernd die Landfrau-en sind. Es stecken schon einmal ca. 150 Stunden Arbeit in einem solchen Kunstwerk. Ungezählte Stunden fließen auf dem Land auch in andere Ehrenämter. In die Freiwilligen Feuerwehren, Chöre, Kirchengemeinden, Sportvereine, Kirmesgesellschaften und so weiter. Es geschieht viel, um das auch zu fördern. Doch es geht durchaus noch mehr. So würden wir gern mehr Begegnungsstätten schaffen. Besonders ärgerlich ist dann, wenn sich die Bedingungen fürs Ehrenamt verschlechtern. Dass Vereine zur Kasse gebeten werden, wenn sie Bürgerhäuser oder Sportanlagen nutzen, will ich nicht verstehen.

Verstehen Sie das, Herr Mohring?

Mohring: Die Faustregel muss lauten, alles zu tun, um das Ehrenamt zu unterstützen und möglichst alles zu vermeiden, was es belastet. Davon hat sich die CDU seit mehr als einem Vierteljahrhundert leiten lassen. Die Ehrenamtsstiftung, die Ehrenamtscard, Übungsleiterpauschalen oder die Würdigungen Ehrenamtlicher sind einige Punkte. Eines sollte das Land allerdings nicht tun: in die kommunale Selbstverwaltung ein-zugreifen. Ich bin davon überzeugt, dass es den Kommunen und dem Ehrenamt gut geht, wenn die örtliche Gemeinschaft möglichst viel selbst regeln kann. Deshalb setzen wir uns für möglichst weite Gestaltungsmöglichkeiten vor Ort ein. Werden die Kommunen finanziell ordentlich ausgestattet, müssen sie auch keine Vereine zur Kasse bitten.

Frau Geilert, jetzt ist Gelegenheit für einen kleinen Werbeblock: Warum sollen Frauen bei den Landfrauen mitmachen?


Geilert: Wir verstehen uns als Motor der sozialen und kulturellen Entwicklung auf dem Land. Auch wenn er mal mehr, mal weniger kräftig läuft. Wir fördern den Zusammenhalt vor Ort und vertreten die Interessen der Frauen und Familien im ländlichen Raum. Und aus der Perspektive der Mitglieder ist der Landfrauenverband ein Netzwerk, in dem Frauen aller Generationen Informationen, Hilfe und Unterstützung für das Leben in den Dörfern und kleineren Städten finden, sich auch austauschen können. Es gibt Bildungs- und Reiseangebote. Und nicht zu vergessen: Feste feiern können und wollen wir auch.

Frau Geilert, Herr Mohring, danke für das Gespräch.