Im Saftladen

Der alkoholgeschwängerte Duft frischer Kirschmaische zieht hinweg über blaue Plastikfässer und verchromte Kessel, vorbei an riesigen Metalltanks, hindurch zwischen den viele Meter hoch gestapelten Getränkekisten bis hin zum Halleneingang. Hier beginnt das Reich von Rainer Möbus.

Im Adelhäuser Gewerbegebiet am Frohnberg, genau an der Grenze zu Bayern, entlockt der hochgewachsene Industriemeister der Fachrichtung „Fruchtsaft und Getränke“ den Wiesen, Feldern und Sträuchern der Region zwischen Suhl und Kronach allerlei flüssiges Obst: vom kaltgepressten Fruchtsaft über Liköre, Obst- und Kornbrände bis hin zu Konfitüren und Gelees.

Eimerweise schleppen die Menschen Früchte von den sanft geschwungenen Hügeln des Umlands herbei, um im Gegenzug im angeschlossenen Saftladen stark vergünstigt einkaufen zu können. Der Vorteil: Wer mehrere Hänger Äpfel bringt, muss nicht den ganzen Herbst und Winter Apfelmost oder -saft trinken, sondern kann sich auch eine Johannisbeerschorle mixen oder Quittengelee aufs Sonntagsbrötchen schmieren. Doch jetzt ist erstmal die Zeit für Hochprozentiges: Mit Rainer Möbus‘ Sohn Gabriel, Student der Getränketechnologie, steht mittlerweile die vierte Generation an der fränkischen Destille. Aus großen blauen Fässern pumpt er frische Kirschmaische in die Brennblase, die dann im Wasserbad erhitzt wird. Bei etwa 76 Grad fängt der Alkohol an zu verdampfen, wandert über die verschiedenen Böden in den Kühler und über eine Zähluhr, mit der der Alkohol gemessen wird, schließlich zum Hahn. Heraus kommt aromatisches Kirschwasser, das direkt ab Werk verkauft wird. Doch damit könnte bald Schluss sein. Schuld ist das Gesetz der rot-rot-grünen Landesregierung zum Grünen Band, das mit ein paar unbedachten Pinselstrichen die Grünfläche hinter der etwa 1000 Quadratmeter großen Lagerhalle zum integralen Teil des neuen „Naturmonuments“ erklärt – und somit jede gewerbliche Nutzung ausschließt. „Wenn ich auf meinem eigenen Grundstück kein Gewerbe mehr betreiben kann, dann gehört es mir ja im Grunde nicht mehr – de facto wäre das eine Enteignung. Was dort beschlossen werden soll, ist für uns existenzbedrohend“, empört sich Möbus, während seine Augen über den dicken schwarzen Rand seiner Brille blitzen. „Wenn das Gesetz so kommt, könnten wir auf unserem eigenen Grundstück nicht einmal mehr Rasenmähen, geschweige denn wie geplant unsere Halle erweitern.“

Möbus läuft jetzt mit weiten Schritten in den hinteren, dem Grünen Band zugewandten Teil seines Gewerbegrundstücks, das er kurz nach der Wende erstand, als die Kapazitäten im heimischen Bad Rodach durch das auf einmal stark vergrößerte Einzugsgebiet nicht mehr ausreichten. „Die Leute kamen damals in ihren Trabis, deren Anhänger übervoll mit Äpfeln beladen waren“ blickt er auf die Anfänge des mittlerweile mehr als 25 Jahre währenden „grenzübergreifenden Betriebs“ zurück. 

„Als die Grenze aufging, waren wir ja froh, dass hier wieder alles zusammenwächst. Im Grunde wird jetzt eine natürliche Entwicklung gestoppt“, macht der 56jährige Industriemeister deutlich, wie absurd er die rigiden Regelungen des Gesetzesentwurfs findet. Denn schon jetzt ist das Grüne Band – jedenfalls im Sinne einer einheitlichen, naturbelassenen Fläche – nicht mehr als eine Wunschvorstellung. Viel eher gleicht es einem grünen Flickenteppich: Die ICE-Strecke, zahlreiche Straßen und eben auch Gewerbegebiete durchziehen das ehemalige Grenzgebiet. Aus der Halle ertönt jetzt ein Warnsignal. Weil Sohn Gabriel Mittagspause macht, schaut Rainer Möbus selbst nach der glänzenden Stahlkonstruktion mit ihren Schläuchen, Kesseln, digitalen Anzeigen und gläsernen Gucklöchern: Kein Grund zur Beunruhigung, der Ton war nur die Aufforderung, die Temperatur des Brennvorgangs zu kontrollieren. Alles in Ordnung.

Kurze Zeit später zieht Rainer Möbus dann die Schutzhandschuhe an, denn jetzt wird die sogenannte Schlempe abgelassen. Die Schlempe ist das, was nach dem Brennen übrig bleibt, die entgeistete Maischeleiche, kohlenhydratarm und eiweißreich. Dampf steigt auf; wer nicht aufpasst, kann sich an der heißen Pampe leicht verbrühen. Die Schlempe wird getrocknet oder – noch flüssig – als Dünger, in Biogasanlagen oder als Futtermittel verwendet.

Die heimische Natur und ihre Produkte zu schätzen ist eine Grundhaltung, die auch Möbus vertritt. Deshalb steht er auch dem Grünen Band und der Idee von einem Streifen unbelassener Natur sehr positiv gegenüber – „solange mit Maß und Ziel vorgegangen wird“. Aus seiner Sicht kann das Grüne Band nur funktionieren und seine Akzeptanz bewahren, wenn Flächen wie Gewerbegebiete und Straßen, die bereits fest in einer anderen Nutzung sind, in ihrem Bestand geschützt bleiben. 

Deshalb will er auch weiter kämpfen für Verkehrsprojekte wie den Lückenschluss der Eisenbahnstrecke zwischen Bad Rodach und Hildburghausen – damit zusammenwächst, was zusammengehört. „Wenn das Gesetz so kommt, entsteht eine grüne Mauer zwischen den neuen und den alten Bundesländern. So etwas hatten wir lange genug.“