„Treffpunkt, Nahversorger und Ideenschmiede“

Plötzlich ist es voll im Dorfladen. Im 30-Sekunden-Takt kommen die meist älteren Leute. Sie kaufen Brötchen und Kuchen direkt vom Blech. Es ist 9.30 Uhr und das Angebot ist schon reichlich ausgedünnt. „Es kann schon mal vorkommen, dass wir mittags schon ausverkauft sind“, sagt Petra UllrichWessely. Die Verkäuferin arbeitet seit zwei Jahren im Steinbacher Messerstübchen. Backwaren gibt es hier, ein kleines Lebensmittelsortiment, darunter Getränke, Knackwürste und all die kleinen Sachen, die beim Einkauf im Discounter im nahen Bad Liebenstein so gerne vergessen werden.   

Die jüngere Geschichte des Messerstübchens war lange geprägt von häufigen Nutzerwechseln. Ursprünglich Gaststätte, dann die denkmalgerechte Komplettsanierung und der Einzug der Gemeindeverwaltung des 2008 noch selbstständigen Ortes. Nach der Fusion mit Bad Liebenstein versuchte ein Bäcker hier sein Glück. Doch das Geschäft trug sich nicht in dem 1000 EinwohnerDorf. 2015 stand das Haus dann für einige Zeit leer, bis der örtliche Rennsportverein die Idee mit dem Dorfladen hatte. Die Mischung aus Tante-Emma-Laden, Bäckerei-Cafe und dem Werksverkauf der örtlichen Messerschleiferei kam an bei Ortsbewohnern und Touristen. Zwei Vollzeitkräfte – neben Petra UllrichWessely ist das ihre Kollegin Silke Eschrich – arbeiten seitdem hier, verkaufen und bedienen ihre Gäste, jeden Werktag ab 6.30 Uhr. Und wenn noch Zeit bleibt, setzen sie sich auch einmal für einen Schwatz an einen der Tische zu ihren Nachbarn. „Schwatzen ist wichtig“ sagt Bad Liebensteins Bürgermeister Michael Brodführer. „Das Messerstübchen ist Treffpunkt, Nahversorger und Ideenschmiede.“

Wie zum Beweis betritt ein Mann in Handwerker-Arbeitshose den Laden. Kaufen will er heute nichts. Nur einmal kurz guten Tag sagen. Zum Bürgermeister auf einen Kaffee an den Tisch setzen könne er sich „leider nicht. Keine Zeit. Ich muss weiter.“ Dafür nutzt die nächste Besucherin die Möglichkeit zur gemütlichen Pause. Auch sie kauft ein paar Brötchen ein, dann rollt die junge Frau ihren Kinderwagen an einen der Tische. Sie holt ein Brötchen aus der Tüte und reicht es an den quengelnden Nachwuchs im Buggy weiter. Dann wird es auch allmählich wieder ruhiger im Laden. Die Mutter genießt ihren Kaffee, das Kind sein Brötchen.

Tagsüber dient das Messerstübchen als Café, abends immer wieder auch als Gemeinderaum. Etwa für die Ortspolitik. „Heute Abend Zukunftsstammtisch, 19 Uhr“. Das Schild rechts neben der Eingangstür wirbt dafür, dass die Steinbacher sich mit ihren Anliegen einbringen. Und eine Pinnwand im Vorraum des Ladens gibt Auskunft, welche Vorhaben gerade angepackt werden. Wer sich für ein Projekt interessiert, soll einfach mitmachen.

„Nachbarschaftshilfe organisieren“, steht auf den Karteikarten an der Magnetwand. „Die Bushaltestelle verlegen“. Oder die Forderung nach einer Grünschnittannahmestelle gleich daneben. „Den Kinderspielplatz erweitern“, auf einem dritten Zettel. „Zwischen 2000 und 2015 haben wir im Ort ein Viertel der Bevölkerung verloren.“, sagt CDU-Mann Brodführer. Kein anderer Ortsteil der Stadt Bad Liebenstein blutete in diesen Jahren stärker aus. Geblieben waren vor allem die Alten. Und für die wurde das Leben immer schwerer – in dem engen Kerbtal mit seinen steilen Straßen, wo kein Grundstück ohne Gefälle ist. Für Brodführer steht inzwischen fest: Auch dank der Zukunftsstammtische konnte die Abwanderung gestoppt werden. „Es ziehen wieder junge Leute ins Dorf, sanieren die alten Häuser, bringen sich ein in der Dorfgemeinschaft.“ Denn Steinbach gilt längst nicht mehr als eines dieser verrufen-verschlafenen Käffer im Thüringer Wald, sondern als innovativ und bürgerfreundlich. „Das ging vor allem über eine positive Öffentlichkeitsarbeit und über einen Imagewandel“, weiß der Bürgermeister. So ist zum Beispiel die Idee, die Straßenbeleuchtung über ein Wasserrad im Steinbach zu betreiben, im Dorfladen an einem der Stammtische geboren worden.

Dank dieser Idee hat der Ort 2017 beim Landeswettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ einen Sonderpreis abgeräumt. Gleich 22 Steinbacher waren zur Siegerehrung angereist – und auch diese Zahl ist typisch für den Ort. „Wir haben hier mehr als ein Dutzend aktiver Vereine“, sagt Bürgermeister Brodführer. Im Ort sei quasi immer etwas los. „Zusammen mit den günstigen Immobilienpreisen, der schönen Natur und der Ortshistorie haben die Steinbacher bewiesen, dass man den ländlichen Raum durchaus attraktiv machen kann – wenn möglichst viele daran mitarbeiten.“
So wie im Dorfladen. Das Geschäft arbeitet kostendeckend – auch dank des ehrenamtlichen Engagements der Mitglieder des Trägervereins. Buchhalterisch steht also die schwarze Null. Für die Dorfgemeinschaft ist er allemal ein Gewinn.