Für Wilhelmsthal braucht es einen Plan B

„Schauen Sie sich den Fußboden an. So was können Sie heute nicht mehr bezahlen.“ Volker Weber, Vorsitzender des Förderkreises Schloss Wilhelmsthal e.V., blickt auf das Muster von ineinander verschlungenen Holzbändern im „Wohn- und Audienzzimmer“ des Corps de Logis von Schloss Wilhelmsthal bei Eisenach. Der Boden überdauerte die Zeiten unter einem Linoleumbelag. Farbe blättert von der Wand. Feine Risse durchziehen den Stuck. Anno 1699 hatte sich Herzog Johann Wilhelm von SachsenEisenach dieses erste Gebäude ins Tal der Elte bauen lassen. Hier in der Waldlandschaft südlich von Eisenach gaben sich Herzog und Gefolge der Jagd und Muse hin. „In diesem Raum hat Telemann selbst gespielt“, sagt Weber. Schloss Wilhelmsthal sei der einzige erhalten gebliebene weltliche Ort überhaupt, an dem Werke des barocken „Superstars“ uraufgeführt worden sind. Heute bedarf es einiger Phantasie, sich die einstige Pracht des immer wieder erweiterten Ensembles zu erschließen, wie etwa im Telemannsaal des Schlosses, welcher der älteste erhaltene freistehende Konzertsaal Europas ist – ein Alleinstellungsmerkmal.

„Unser Anliegen als Förderverein ist es seit 1997, die Anlage zu revitalisieren“, sagt Volker Weber, der über sein Interesse für Literatur und Geschichte als junger Mann auf das Schloss stieß. „In den 90er Jahren war es quasi sich selbst und damit dem Verfall überlassen.“ Stolz ist der Förderverein noch heute, dass die etwa drei Dutzend Ehrenamtler einen Verkauf der Anlage aus Landesbesitz an allerlei obskure Gestalten verhindern konnten. „Es gab Scharlatane, Glücksritter und selbst eine Sekte wollte die Anlage erwerben.“ Das Schicksal etwa von Reinhardsbrunn, das in falsche oder überforderte Investorenhände gelangte, blieb Wilhelmsthal erspart. „25 Millionen Euro werden wohl nicht reichen“, sagt Weber, als er den Wandelgang zwischen Konzertsaal und Pavillon betritt. Mächtige Säulen tragen eine Galerie im ersten Stock. Auf den Säulen nisten Schwalben. Er verstehe nicht, wie man das Schloss nach der Wende so verfallen lassen konnte. „Goethe war oft hier. Vielleicht ist Wilhelmsthal der Schauplatz seiner Wahlverwandtschaften, so ein Gerücht. Die Monarchen der Niederlande, von Preußen oder England waren ebenfalls hier. Zeitweise wurde Sachsen-Weimar-Eisenach im Sommer über Monate hinweg von hier aus regiert.“ Erst vor zehn Jahren gelangte Wilhelmsthal unter das Dach der Schlösserstiftung. Die hatte sich lange gewehrt. „Was solle man denn mit noch einem Schloss?“ – so die Argumentation damals. Das Geld reiche schon für den vorhandenen Bestand kaum aus. Die Stiftung bekommt pro Jahr etwa sechs Millionen Euro für inzwischen 31 Objekte überwiesen. Die fast schon fürstlich zu nennende Extra-Zahlung von 200 Millionen Euro, die Bund und Land nun zu geben bereit sind, elektrisiert die Thüringer Schloss-Schützer-Szene. Einerseits! Andererseits fragt sich auch die Direktorin der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten, warum dieses Geld ausgerechnet einer neuen Stiftung zugedacht ist, in die auch Sachsen-Anhalt ihre sanierungsbedürftigen Adelssitze einbringen soll. Doris Fischer argumentiert: „Wir könnten sofort anfangen. Einige Projekte sind ausführungsreif vorbereitet, andere könnten direkt in die Ausführungsplanung gehen.“ Sie befürchtet zudem einen Identitätsverlust für Thüringen insgesamt, sollten die bedeutendsten Schlösser in eine gemeinsame Stiftung mit Sachsen-Anhalt abgeschoben werden. „Man verkennt unsere Residenzkultur, wenn man davon ausgeht, dass man Leuchttürme herauslösen könnte“, sagte sie Journalisten: „Nur in ihrer Gesamtheit ist diese Residenzkultur etwas Besonderes. Diese Dichte an Haupt- und Nebenresidenzen, Jagdschlössern, Parks und Gärten, Museen und Sammlungen sucht deutschland-, ja europaweit ihresgleichen. Herausgelöste Teile hätten das allein nicht; und dann wäre es schwierig oder sogar unmöglich, die Thüringer Residenzen in ihrer Gänze adäquat zu entwickeln und Besuchern zu präsentieren.“
Dem stimmt Volker Weber zu.

„Sehen Sie“, sagt er und zeigt in Richtung Süden. „Irgendwo da liegt Schloss Altenstein. Wilhelmsthal und Altenstein gehörten zu zwei konkurrierenden Herrscherhäusern. Warum Wilhelmsthal ebenso wie Altenstein in den Plänen der neuen Stiftung nicht erste Wahl sein sollen, versteht Weber nicht. Insgeheim schwingt da natürlich auch der Wunsch mit, ein Teil des in Aussicht gestellten Geldes würde für Wilhelmsthal abfallen. Sein Schloss steht jedenfalls nicht auf jener nun von der Staatkanzlei veröffentlichten Liste der Objekte, die vom Geldsegen profitieren sollen. „Egal wie das hier ausgeht …“ – Volker Weber hat den Park in weitem Bogen durchquert und steht nun inmitten der Gebäude, in denen die Dienerschaft seinerzeit lebte und arbeitete – „… für Wilhelmsthal braucht es einen Plan B“. Sein Blick geht zum Marstall, der bereits teilweise neu aufgebaut ist. „Hier ist viel Geld verbaut worden“, so Weber, „ebenso wie etwa im beeindruckenden Park, der nach den Plänen des großen Gartenbauers Pückler angelegt und in den letzten Jahren aufwendig rekonstruiert wurde. Das darf nicht umsonst gewesen sein! Wer A sagt, muss auch B sagen.“