„Gesundes Essen muss man üben“

Etwas mutlos wirkt der Vorfrühling an diesem Märztag, das Grün der Wiesen am Rand von Münchenbernsdorf ist noch stumpf und ausgelaugt vom Frost. In leichter Hanglage presst sich der wuchtige Gebäudekomplex des Kulturhauses an die Geraer Straße. Von der Häuserwand gegenüber kündet der Willkommensspruch „Die Teppichstadt grüßt ihre Gäste“ von ruhmreicheren Zeiten, als die Kommune südöstlich des Hermsdorfer Kreuzes noch ein bedeutendes Zentrum der DDR-Teppichindustrie war.

Unsere Reportage in Bewegtbild.

Im August 2016 schließlich tut sich was: Das monotone Geratter der Webstühle wird nach vielen Jahren der Stille vom Geklapper eines kleinen Küchenbetriebs abgelöst. An den Töpfen und Pfannen steht Silke Beyer. Die 51-jährige gebürtige Westfälin kocht schon, seit sie zwölf ist. Erfahrungen mit einem Gastronomiebetrieb hatte sie vorher nicht. Und doch hat sie ihren Traum wahrgemacht: Hier, im „Werk 5“, schärft sie gerade nicht nur ihren Gulasch, sondern auch die Ernährungsgewohnheiten von knapp 400 Kindergartenkindern in der Region nach – hin zu mehr gesundem, mehr regionalem Essen.

Jetzt, um kurz vor 9, muss jeder Handgriff sitzen. An Beyers Seite sorgen die Köchinnen Sylvia Gronauer und Annett Ortlepp dafür, dass die Bio-Spätzle nicht matschig und die Portionen alle gleich groß werden. Pro Kind kommen exakt 150 Gramm Gulasch und 150 Gramm Nudeln in den Wärmeschrank. Dazu gibt es 80 Gramm Rotkrautsalat. Sylvia Gronauer misst jetzt die Temperaturen mit einem stricknadelartigen Gastro-Thermometer und trägt ein: Der Gulasch 91 Grad, die Spätzle 88, der Rotkrautsalat 6 und die Suppe 88 – so verlangen es die Regeln der Lebensmittelhygiene. Gronauer nickt zufrieden. Die Portionen werden in große blaue ThermoBoxen gepackt, und gegen 9:45 Uhr starten Silke Beyers Mann Stephan, ihr Sohn Leif und noch ein weiterer Fahrer ihre Touren zu insgesamt acht Kindergärten in Richtung Gera, Greiz und Jena.

Die Einrichtungen zu überzeugen, von etablierten Catering-Konzernen wie Apetito auf regionale Bio-Kost umzustellen, war ein gutes Stück Überzeugungsarbeit. Der Preis ist mit 3,60 Euro pro Essen inklusive Vorspeisensalat oder Dessert ein klein wenig teurer als beim Großcaterer. Im „Werk 5“ gibt es auch keine großen Wahlmöglichkeiten, sondern genau ein Menü pro Tag. Und doch wissen es die meisten Eltern durchaus zu schätzen, wenn das Essen ihrer Kinder nicht einmal pro Woche tiefgekühlt aus einem fernen Zentrallager herangekarrt und dann in Wärmeschränken „regeneriert“ werden muss, sondern täglich frisch aus hochwertigen, regionalen Zutaten zubereitet wird.

Beyer steht jetzt in ihrem gemütlich eingerichteten Bio-Laden samt Bistro, zieht ihr graumeliertes, langes Haar unter der Hygiene-Haube hervor und erzählt, wie sie auf Elternabenden und vor Elternbeiräten für ihr Konzept warb. Die anfängliche Skepsis vermochte sie in der Regel bald zu zerstreuen. „Die meisten haben schnell begriffen, dass wir hier kein exzentrisches Öko-Essen, sondern heimische, saisonale Gerichte und somit Thüringer Küche im besten Sinne anbieten.” Dennoch musste das Team, als die ersten Einrichtungen auf regionale Bio-Kost umstellten, mit vielen Kindern erstmal gesundes Essen „üben“. Mittlerweile haben die sich an die hohen Rohkost- und Gemüseanteile gewöhnt.

Auf Fertig-Produkte, wie sie selbst im leicht gehobenen Restaurantbetrieb heute gang und gäbe sind, verzichtet Silke Beyer ganz. Die Gemüse- und die Fleischbrühe werden nicht aus Instant-Pulver, sondern aus Schälresten und ausgekochten Knochen hergestellt. Auch das Kartoffelpüree wird selber gestampft – aus selbst geschälten Kartoffeln. Beyers Sohn Leif, zurück von der Liefer-Tour, erzählt, wie mühsam das sein kann: „Die hier sind furchtbar klein, sonst wäre ich um diese Zeit schon fertig“, seufzt er und sein Blick fällt auf einen riesigen Kartoffelsack.

Im intensiven Kontakt mit den belieferten Einrichtungen achtet das Team sehr genau darauf, keineÜberkapazitäten zu produzieren. Dank eines flexiblen Buchungssystems können Eltern bis um 7 Uhr am Tag der Lieferung das Essen für ihr Kind abbestellen. „Wir versuchen alles so auszutarieren, dass möglichst wenig in die Tonne geschmissen wird“, erklärt Beyer. Denn die Zutatenbeschaffung gestaltet sich ungleich komplizierter als bei konventionellen Großküchen. Doch mittlerweile hat Beyer sich ein dichtes Lieferanten-Netzwerk aufgebaut. Sie entwickelt Anbaupläne mit Bio-Betrieben aus der Region, dazu kommen drei Fleischbauern. Aus Weida kommen die Kartoffeln, das Gemüse aus Stadtroda und Gera, Möhren, Schweinefleisch und Pastinaken aus Tautendorf, Bock- und Wienerwürste aus Triptis, Rind aus Stadtroda und Wünschendorf, das Roggenvollkornschrotbrot aus Schönborn.

Nach zweieinhalb Jahren schreibt das „Werk5“ schwarze Zahlen und Silke Beyer bereitet nun den nächsten, diesmal ganz großen Coup vor: Schon im Sommer wird sie in der Vogtlandstraße in Gera mit dem „Bio Werk 8“ eine Bio-Großküche eröffnen, mit bis zu 3000 Essen täglich, 32 neuen Mitarbeitern, inklusive Bio-Supermarkt und einem Bistro mit 80 Plätzen und großen Leuchtdisplays, die Fotos zeigen von den regionalen Erzeugern, deren Produkte hier verarbeitet und verkauft werden. Beyer lächelt: „Ich will die Botschaft der Nachhaltigkeit für Menschen, Tiere und die Erde in die Welt tragen.“