Margit Benkenstein, die Thüringer Vorsitzende des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste e.V. (bpa)

Pflege ist ein ganz großes Thema in einer alternden Gesellschaft, auch in Thüringen. Wie entwickelt sich die Lage?

Benkenstein: Aktuell haben wir vor allem den wachsenden Anteil der Hochbetagten und damit häufig Pflegebedürftigen im Blick. Das ist auch richtig, aber nur die halbe Geschichte. Denn auch der Anteil der Menschen mit chronischen und vielen Krankheiten, man spricht von multimorbiden Patienten, wird zunehmen. Übrigens auch derer, die an Demenz erkranken. Das heißt, wir benötigen nicht allein mehr Pflegekräfte, sondern die Alten- und Krankenpflege muss sich auch auf den Patienten von morgen einstellen. Das heißt im Klartext Qualifizierung. Altenpflege ist ein anspruchsvoller Beruf.

Mohring: Die letzte CDU-geführte Landesregierung hat 2012 einen Pflegepakt verabschiedet. Denn uns war klar, dass zu warten sträflicher Leichtsinn wäre. Wir haben jetzt gut 94.000 Pflegebedürftige, in zwölf Jahren werden es bereits 109.000 sein. Die etwas mehr als 30.000 Beschäftigten in der Altenpflege werden nicht reichen und sind auch schwer zu ersetzen, weil weniger junge Leute zur Verfügung stehen. Deshalb lag der Schwerpunkt auf der Nachwuchsgewinnung. Dafür müssen Ausbildung und Pflegeberuf attraktiv sein. Deshalb haben wir auch gleich zu Beginn dieser Wahlperiode für eine faire, tarifgerechte Bezahlung geworben. Die Gesundheitspolitiker der Unionsfraktionen in den Landtagen haben kürzlich vorgeschlagen, die Zahl der Stellen im Bundesfreiwilligendienst zu verdoppeln. Weil auch dies eine Möglichkeit ist, junge Menschen an dieses Berufsfeld heranzuführen.

Benkenstein: Dabei muss man im Blick haben, dass sich die Zahl der Beschäftigten in den letzten zehn Jahren bereits nahezu verdoppelt hat. Es wird nicht leichter, wenn alle Branchen Azubis suchen. Als private Pflegeheime werben wir dafür, die Fachkraftquote von 50 Prozent zu lockern. Dann könnten mehr Hilfskräfte die Fachkräfte entlasten.

Ein Baustein soll die Reform der Pflegeausbildung sein. 2020 tritt sie in Kraft. Die Ausbildung in der Gesundheits- und Krankenpflege, der Altenpflege und Kinderkrankenpflege sollen zusammengeführt werden…

Mohring: Zunächst einmal wird das Schulgeld gesetzlich abgeschafft. Dafür setzen wir uns schon lange ein. Damit wird eine wesentliche Hürde beseitigt. Hausaufgaben hat aber vor allem die Landesregierung zu machen. Das Gesetz muss umgesetzt werden. Der Paritätische Wohlfahrtsverband bemängelt völlig zu Recht, dass die Ramelow-Regierung weder inhaltliche noch organisatorische Fragen geklärt hat. Die bisher spezialisierten Schulen müssen sich breiter aufstellen. Deshalb hat sich die CDU-Fraktion auch dafür eingesetzt, dass mehr Lehrkräfte für die Pflegeberufe ausgebildet werden.

Benkenstein: Da sind in der Tat Baustellen offen. Für die Pflegedienste sind zwei Punkte besonders wichtig. Die Politik muss sehr darauf achten, dass keine Ausbildungsplätze durch bürokratische Auflagen verloren gehen. Die Umstellung der Lehrpläne ist für viele Schulen eine Herausforderung. Die flächendeckende Versorgung mit Altenpflegeschulen muss erhalten bleiben, so wie ja auch der Abschluss des Altenpflegers erhalten bleibt. Denn auf die gemeinsame zweijährige Grundausbildung folgt auch in Zukunft eine Spezialisierung für ein Jahr.

Nun macht sich niemand Illusionen, dass der Bedarf allein aus dem Land gedeckt werden kann. Ohne die Zuwanderung von Fachkräften wird es kaum gehen, oder?

Benkenstein: Ausländische Abschlüsse müssen leichter und schneller anerkannt werden. Die Verfahren sind kompliziert, teuer und dauern viel zu lange. Mittelfristig lässt sich der Aufwand übrigens erheblich reduzieren, wenn in den Herkunftsländern klar zu erkennen ist: dies und das wird erwartet. Die Qualifizierung kann schon vor Ort unterstützt werden, etwa durch kostenlose Sprachkurse an den Goethe-Instituten im Ausland. Am Ende wird es ohne gezielte Anwerbeinitiativen aber nicht gehen. Leider macht Thüringen es ausländischen Pflegefachkräften schwerer als andere Bundesländer, im Land anzukommen. Selbstverständlich müssen Pflegekräfte und Patienten sich gut verständigen können. Doch dazu braucht es kein Germanistikstudium.

Mohring: Dass es auch anders geht, zeigen Bayern und Hessen. Da wird zunächst verlangt, dass ein Bewerber sich mit den Pflegebedürftigen in einem klaren Standarddeutsch vernünftig verständigen kann, damit in der Pflege nichts schief geht. Ein höheres Niveau wird dann nach einiger Zeit im Land bei entsprechender Förderung verlangt. Genau für diesen Weg haben wir uns aus-gesprochen. Warum eine ausländische Pflegekraft in Thüringen ein Sprachniveau mitbringen muss, das für die Aufnahme eines Master-Studienganges berechtigt, ist nicht nachvollziehbar. Die CDU-Fraktion setzt sich außerdem dafür ein, dass Qualifikationen schon vor Ort bei den deutschen Außenhandelskammern nachgewiesen werden können, damit die Anerkennung in Thüringen schneller geht und nicht länger als ein halbes Jahr dauert. Da ist die Landesregierung gefordert.

Lassen Sie uns das Thema noch einmal von einer anderen Seite betrachten. Nicht wenige sagen: Zu wenig Zeit für die Pflegebedürftigen, zu viel Papierkram. Lässt sich Pflege nicht zugleich effizienter und dennoch menschlicher gestalten?

Mohring: Unter anderem da setzt das Sofortprogramm Pflege von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn an. Digitalisierung kann Pflegekräfte entlasten, sagt Spahn. Unter anderem bei der Pflegedokumentation, der Abrechnung von Pflegeleistungen oder der Zusammenarbeit mit Ärzten. Für jede ambulante oder stationäre Pflegeeinrichtung sind 12 000 Euro Förderung vorgesehen, damit entsprechend investiert werden kann. 

Benkenstein: Die Digitalisierung spielt eine wichtige Rolle, etwa die elektronische Pflegedokumentation. Grundsätzlich ist die Pflegedokumentation allerdings unverzichtbar. Sie sichert die Qualität und Nachvollziehbarkeit der Pflege und wird auch für das interne Qualitätsmanagement benötigt. Am Ende zählt das Wohl der Pflegebedürftigen. Dennoch: Der Aufwand für die Pflegedokumentation kann auf das fachlich und rechtlich notwendige Maß verringert werden. Durch Förderung des Bundesgesundheitsministeriums ist das sogenannte Strukturmodell entstanden, das den Dokumentationsaufwand reduziert. Die Hälfte der Einrichtungen und Pflegedienste in Thüringen nutzt es inzwischen.

Am Ende funktioniert die Pflege aber doch vor allem, weil jeweils lediglich rund ein Viertel der Pflegebedürftigen in Pflegeheimen oder ambulant betreut wird und knapp die Hälfte durch pflegende Angehörige oder andere Nahestehende.

Mohring: Die Familienangehörigen sind ganz sicher der kostengünstigste Pflegedienst des Landes. Das wird angesichts der Bevölkerungsentwicklung und auch gesellschaftlicher Veränderungen so nicht bleiben. Allein angesichts der heute erwarteten und auch selbstverständlichen Mobilität leben Familien nicht mehr so oft zusammen. Auch scheiternde Familien gehören nun einmal zur Lebensrealität. Deshalb setzt die CDU ganz grundsätzlich darauf, verbindliche Formen des Zusammenlebens und Zusammenhalt zu unterstützen, wo es geht. Nicht allein in der Familienpolitik. Gelingt das nicht, wird Pflege langfristig teurer. Deshalb ist die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf und die Entlastung pflegender Angehöriger ein so großes Thema. Zum Beispiel durch den Ausbau der Kurzzeit- oder Verhinderungspflege.

Benkenstein: Die meisten Menschen wollen möglichst lange zu Hause leben. Doch das Ideal des Älterwerdens im Kreis einer Familie in der Nähe ist nur noch ein Modell unter vielen. Deshalb müssen wir andere Formen finden. Für Pflegebedürftige wie für die Finanzierung der Pflege sollten wir daher eine klare Rangfolge beachten: Weg von der Schaffung reiner Versorgungsstrukturen, hin zu einer differenzierten Unterstützung für ein normales Wohnen. Wir brauchen einen Mix aus Eigenverantwortung und Eigentätigkeit, aus familiärer und nachbarschaftlicher Hilfe und aus professioneller Unterstützung. Wir brauchen ambulante, teilstationäre und stationäre Versorgungsangebote, die kombiniert werden können. Wobei ich auch sagen will: Auch das klassische Pflegeheim muss wieder an gesellschaftlicher Akzeptanz gewinnen, wenn wir an Hochbetagte und ihre Pflegebedürftigkeit denken.

Frau Benkenstein, Herr Mohring, ich danke für das Gespräch.